Geschichte der Sternwarte
ESO-Instrumente – KMOS
Das erfolgreiche Engagement der Sternwarte Bogenhausen im
astronomischen Instrumentenbau hatte sich dann auch insoweit
ausgezahlt, als mehrere im Zusammenhang mit ESO-Ausschreibungen sich
bildende internationale Konsortien ihre Mitarbeit suchten und sie
daher in der Lage war, sich diesbezüglich die »Filetstücke« auswählen
zu können.
So spielte die Instrumentengruppe der Sternwarte in einem weiteren
großen internationalen Projekt der ESO im Zusammenhang mit der
VLT-Instrumentierung der zweiten Generation eine bedeutende Rolle:
Sie war innerhalb des britisch geführten Konsortiums zum Bau
des kryogenen Spektrographen KMOS (K-Band Multi-Object
Spectrograph) verantwortlich für Design und Realisierung der
Steuerelektronik und für die gesamte Steuersoftware dieses innovativen
Instruments zur Spektroskopie weit entfernter Galaxien.
Da diese am Himmel nur eine sehr geringe Ausdehnung von maximal
einigen Bogensekunden besitzen, aber aufgrund wissenschaftlicher
Fragestellungen simultane spektroskopische Informationen von
unterschiedlichen Teilen der Objekte erforderlich sind, wurde ein
spezielles Verfahren der Integralfeldspektroskopie angewandt, das
solche Strukturuntersuchungen erlaubt.
Daneben sollte zur Verkürzung der Messzeiten die gleichzeitige
Spektroskopie mehrerer solcher Galaxien möglich sein, um die
Voraussetzungen für die Untersuchung einer statistisch relevanten
Anzahl derartiger Objekte zu schaffen.
Da deren Strahlungsmaximum aufgrund der durch die Expansion des
Universums verursachten Rotverschiebung im nahen Infrarot liegt, musste
darüberhinaus das gesamte Instrument für diesen Wellenlängenbereich
ausgelegt werden.
Schon ab 2002, gerade als die Arbeiten an OmegaCAM richtig Fahrt
aufgenommen hatten, wurde in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut
für Extraterrestrische Physik in Garching (MPE), dem
Astronomy Technology Centre (ATC) in Edinburgh sowie den
Universitäten von Durham, Oxford und Bristol mit den Arbeiten zu
Entwicklung und Bau dieses speziellen Spektrographen begonnen.
Die technologischen Anforderungen an das Projekt waren immens, da das
gesamte komplexe Gerät aufgrund der wissenschaftlichen Vorgaben in
einem Kryostaten bei einer Betriebstemperatur von ca. −200 °C
zuverlässig und nahezu wartungsfrei arbeiten musste.
Die Hauptaufgabe dabei war aber, dass KMOS als
Multi-Integralfeld-Spektrograph es erstmals erlauben sollte, abbildende
Spektroskopie gleichzeitig an mehreren ausgedehnten Objekten zu
betreiben, die sich an verschiedenen Positionen innerhalb des
unvignettierten Teleskopgesichtsfeldes des VLT befinden.
Das schließlich bis zum Jahre 2005 erarbeitete grundlegende
Konzept gestattet es, das Licht von 24 Objekten über 24 im
Gesichtsfeld positionierbare Roboterarme auszublenden, in jeweils
14 × 14 Bildelemente aufzulösen und drei Spektrographen
zuzuführen.
Jeder Spektrograph ist dabei mit einer drehbaren Gittermontierung zur
Aufnahmen von fünf Reflexionsgittern ausgerüstet, die das Arbeiten im
nahen Infrarot von 0.8 bis 2.4 µm (K-Band) erlauben, einem
Spektralbereich also, der vom menschlichen Auge nicht wahrgenommen
werden kann.
Drei empfindliche Infrarotdetektoren (Pixelgröße: 18 µm) gestatten
dann mit einer einzigen Belichtung die Aufzeichnung von 196 Spektren
pro Objekt, also insgesamt knapp 5000 Spektren.
Nachdem alle Vorarbeiten und extensiven Tests mit immer wieder
verbesserten Prototypen einzelner sensibler KMOS-Komponenten im
Laufe des Frühjahrs 2008 auch in kryogener Umgebung erfolgreich
abgeschlossen werden konnten, wurde dann in den folgenden drei Jahren
die Realisierung des Projekts durchgeführt.
Dabei war das ATC in Edinburgh für den Bau des Kryostaten und
der Roboterarme verantwortlich, die Spektrographen wurden von der
Universität von Oxford angefertigt, die Image Slicer entstanden an der
Universität von Durham und das MPI für Extraterrestrische Physik in
Garching war für die Entwicklung der Datenreduktionssoftware zuständig.
Noch im Jahre 2011 konnte dann am ATC mit ausgiebigen Testaktivitäten
des fertig integrierten Instruments begonnen werden, die auch immer
wieder tatkräftig von Mitarbeitern aus Bogenhausen unterstützt wurden,
da ja die dort geleisteten Beiträge das Instrument erst zum Leben
erwecken konnten.
Die Testserien dienten zur Demonstration und Überprüfung der
Leistungsfähigkeit und Betriebssicherheit aller opto-mechanischen
Komponenten, der Kontrollelektronik und -software sowie der
Datenreduktionspipeline und führten im Juni/Juli 2012 zur Abnahme
des Instruments durch ESO.
Noch im August des gleichen Jahres wurde es dann in seine Komponenten
zerlegt, zum Paranal transportiert, dort in einer Integrationshalle
im September wieder zusammengebaut und im November am Nasmyth-Fokus
von VLT-Teleskopeinheit Nr. 1 montiert.
Technisches First Light und damit der endgültige Beweis der
Funktionalität fand dann am 21. November 2012 statt.
Nach Abschluss der Übernahmeprozeduren durch ESO im Dezember 2013
wurde das über 20 Millionen € teure und unter einem Einsatz von
ca. 150 Mannjahren hergestellte Instrument zunächst für Messungen im
Rahmen der den Konsortiumsmitgliedern garantierten Beobachtungszeit
eingesetzt.
Entsprechend ihrem finanziellen und personellen Einsatz erhielt die
Sternwarte Bogenhausen dabei von ESO 80 Beobachtungsnächte zur Nutzung
für ihre Forschungsvorhaben zugesprochen.
Seit 1. April 2014 steht nun KMOS auch offiziell den europäischen
Astronomen zur Lösung ihrer wissenschaftlichen Probleme zur Verfügung.
Testaktivitäten des Konsortiums in der Integrationshalle des
Astronomy Technology Centre in Edinburgh in den Jahren 2011
und 2012 dienten ersten Untersuchungen von grundlegenden Teilen
des Instruments (Roboterarme, IFUs, Spektrographen, Detektoren),
die wegen ihrer Eigenstrahlung im Infrarotbereich in einem Kryostat
arbeiten müssen.
Dieser besitzt eine Länge von 1.45 Metern, einen Durchmesser von
2 Metern und ein Gewicht von 2.2 Tonnen.
Die in Bogenhausen konzipierten und gebauten Elektronikschränke sind
aus Gründen der Gewichtsersparnis nicht an dem während der Beobachtung
zur Kompensation der Bildfelddrehung rotierenden Instrument angebracht,
sondern in einem eigenen Co-Rotator (CACOR) befestigt, der einen
Durchmesser von 3 Metern und ein Gewicht von ca. 4 Tonnen besitzt.
Das vollständig integrierte silberfarbene KMOS-Instrument mit CACOR
während der finalen, extensiven Tests, die unter realitätsnahen
Bedingungen stattfanden.
![[KMOS-Roboterarme]](04_ATC4_.jpg)
Die Bilder zeigen die komplexe Mechanik, aber auch die Ästhetik
der 24 Roboterarme von KMOS, die in zwei Ebenen konzentrisch um das
kreisförmige Gesichtsfeld von 25 cm Durchmesser angeordnet und auf
die zu untersuchenden Objekte mit Hilfe eines Optimierungsprogramms
automatisch einstellbar sind.
Deren Licht wird dann über winzige Spiegel in den Spitzen der Arme
ausgekoppelt (Feldgröße:
2.″8 × 2.″8) und mittels
einer in den Armen befindlichen Transferoptik 24 stationären
Image Slicer-Integralfeldeinheiten (IFUs) zugeführt.
In den IFUs wird dann jedes ausgeblendete Feld mittels 42
winziger, mit einem Diamantwerkzeug exakt bearbeiteter und
akkurat in verschiedenen Orientierungen zueinander justierter
optischer Oberflächen in 14 × 14 Bildelemente der Größe
0.″2 × 0.″2 aufgelöst und
diese dann an die Spektrographen weitergeleitet.
Daher werden dort für jedes Objekt mit einer einzigen Belichtung 196
räumlich aufgelöste Spektren erzeugt, also insgesamt 4704 Spektren
von den Infrarot-Detektoren aufgezeichnet.
Im September 2012 wurde das KMOS-Instrument nach seinem
Transport nach Chile in einer Integrationshalle im Basislager des
Paranal-Observatoriums wieder zusammengebaut und seine Funktionalität
überprüft.
![[Transport des Instruments zum Teleskop]](07_Transp1_.jpg) ![[Transport des Instruments zum Teleskop]](08_Transp2_.jpg) ![[Transport des Instruments zum Teleskop]](09_Transp3_.jpg)
Kryostat und CACOR wurden dann am 5. November 2012 zu VLT-Einheit
Nr. 1 transportiert und mit einem Kran durch den Kuppelspalt zu ihrem
»Arbeitsplatz« auf eine der beiden Nasmyth-Plattformen gehoben.
![[KMOS mit Co-Rotator am Teleskop]](11_VLT1_.jpg)
Das KMOS-Instrument während der Testserien im November/Dezember 2012
auf einer Nasmyth-Plattformen von VLT-Einheit Nr. 1.
Rechts vom silberfarbenen Kryostaten ist der blaue Teleskopflansch
zu erkennen, links der rot eingefasste Co-Rotator mit den
Elektronikschränken.
Seit 1. April 2014 steht KMOS, ein auch mit seinen äußeren Dimensionen
beeindruckendes Instrument am VLT, offiziell den europäischen
Astronomen zur Lösung ihrer wissenschaftlichen Probleme zur Verfügung.
Verglichen mit anderen Integralfeld- und klassischen
Einspalt-Spektrographen erlaubt KMOS eine wesentliche Reduzierung
der Messzeit, im Mittel um einen Faktor zwischen 50 und 100.
Dabei ist es aber auch erforderlich, dass die Datenflut von insgesamt
4704 Spektren pro Aufnahme nur durch einen automatisch arbeitenden
Pipeline-Prozess reduziert werden kann.
Auch die Vorbereitung der Beobachtungen erfordert eine spezielle
Software, die dem Nutzer für seine Objekte jeweils die optimale
Positionierung der 24 Roboterarme ermittelt.
Die so erreichte Leistungssteigerung bildet die Voraussetzung zur
spektroskopischen Untersuchung einer statistisch relevanten Anzahl weit
entfernter Galaxien, deren Daten zur Erstellung von Galaxienkatalogen
in einer nie dagewesenen Qualität genutzt werden können und auch zur
Beantwortung einer Vielzahl aktueller Fragestellungen der Astrophysik
erforderlich sind.
Zu den wichtigsten zählen dabei die nach der Entstehung von
Galaxien und der Ausbildung der Morphologie in ihren frühen
Lebensabschnitten, ihr chemischer Aufbau und die Bewegungsverhältnisse
der Galaxienstrukturen.
Solche Probleme können nur mit einem Spektrographen wie KMOS in einer
angemessener Zeit erfolgreich angegangen werden.
Bildquellen:
Nr. 1–5: ATC
Nr. 6–13: ESO
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