Geschichte der Sternwarte
Rabe – Krieg
Durch den im September 1939 von Hitler entfesselten Zweiten
Weltkrieg wurden die Aktivitäten an der Sternwarte in Bogenhausen
stark eingeschränkt, da das Personal zum größten Teil sofort zum
Militärdienst eingezogen wurde.
Im Jahre 1940 standen dann sogar sämtliche wissenschaftlichen
Mitarbeiter der Sternwarte im Heeresdienst.
Auch Rabe wurde von der Wehrmacht eingespannt und musste sich immer
wieder für einige Wochen nach Babelsberg begeben, um dort für das
Reichsluftfahrtministerium Rechenarbeiten zu übernehmen.
Die wissenschaftliche Betriebsamkeit lebte dann etwas auf, als im
Rahmen des deutsch-ungarischen Kulturabkommens von Mai bis
Oktober 1940 das Astronomenehepaar László Detre (1906–1974), ab 1943
Direktor des Konkoly-Observatoriums in Budapest, und seine Frau Julia
Detre-Balács (1907–1990) sich als Gäste an der Sternwarte aufhielten.
Während er am Fraunhofer-Refraktor mit einem Keilphotometer
Helligkeitsunterschiede von Doppelsternkomponenten visuell untersuchte,
benutzte sie den Kleinen Astrographen, um über hundert Aufnahmen
zur Bestimmung der interstellaren Absorption in einer bestimmten
Himmelsgegend zu erhalten.
Im Juli 1944 brachen dann schwere Zeiten an, als der Krieg auch
unmittelbar das wissenschaftliche Leben an der Sternwarte weiter
einschränkte.
Nach der am 6. Juni 1944 erfolgten Invasion der Alliierten in der
Normandie hatten die seit 1940 sporadischen Bombenangriffe auf München
deutlich zugenommen.
Die Angriffe Nr. 22 und 24 vom 11. und 13. Juli – es sollten beinahe
noch fünfzig weitere folgen, der letzte am 29. April 1945 – gehörten
mit je ca. tausend Flugzeugen zu den schwereren ihrer Art und zogen
auch die Sternwarte in Mitleidenschaft.
Der Ostflügel des Hauptgebäudes brannte völlig aus, der Westflügel
wurde teilweise zerstört und sämtliche Dächer beschädigt.
Die Direktorenvilla wurde ein Raub der Flammen.
Glücklicherweise konnte die darin untergebrachte wertvolle Bibliothek
zum größten Teil gerettet werden.
Bis auf den Repsoldschen Meridiankreis, dessen Tubus aus der
Verankerung gerissen wurde, blieben die übrigen Instrumente weitgehend
unbeschädigt.
Menschenleben waren bei den Attacken auf die Sternwarte zum Glück
nicht zu beklagen.
Im Stadtgebiet von München wurden jedoch ca. 6000 Menschen getötet
oder verletzt und 200 000 verloren ihr Zuhause.
Zahlreiche Baudenkmäler und Kulturstätten, die meist schon vorher
beschädigt worden waren, erlitten ihre entscheidenden Zerstörungen
und große Teile der Infrastruktur und des Versorgungsnetzes brachen
zusammen.
Eine beträchtliche Einwohnerzahl Münchens mussten ohne elektrischen
Strom, Gas und Wasser auskommen und auf öffentliche Verkehrsmittel
weitgehend verzichten.
Die Toten wurden bei Nacht in Massengräbern verscharrt, da keine
Särge mehr vorhanden waren.
Der Kunsthistoriker und Journalist Wilhelm Hausenstein (1882–1957),
der 1950 der erste Botschafter der jungen Bundesrepublik Deutschland
in Paris werden sollte, notierte am 12. August 1944 in seinem Tagebuch:
Nach Wochen zum ersten Mal wieder in München gewesen.
Die Stadt ist zum größeren Teil zerstört:
in ihren Wohnhäusern, in ihrer monumentalen Gestalt.
Der Eindruck ist grausig.
Ich kann mir nicht denken, wie München je wieder zur Repräsentation
dessen, was es gewesen ist, wiederhergestellt werden soll.
. . .
Man meint durch einen absurden Traum zu wandern.
Die Straßen sind ausgestorben.
Die Bevölkerung scheint mit einem Schlag auf ein Drittel oder Viertel
abgeschmolzen.
Seine Befürchtungen sollten sich zum Glück nicht bewahrheiten.
München im Juli 1944:
Blick vom Dach des Hochhauses in der Blumenstraße nach Nordosten
während einer der sieben amerikanischen Luftangriffe dieses Monats,
die meist um die Mittagszeit erfolgten.
Die Brandherde im Stadtzentrum lassen die Silhouette der Frauenkirche
nur erahnen.
![[Durch Luftangriffe zerstörtes Sternwartgebäude]](02_STW1944a_.jpg)
Die bei den Luftangriffen vom 11. und 13. Juli 1944 zerstörte
Sternwarte:
Blick auf die Frontseite (links) und in den Innenhof (rechts).
Das Gelände der Sternwarte war von zehn Bomben und einem abgeschossenen
Jagdflugzeug getroffen worden.
Seeligers ehemalige Villa nach den Luftangriffen vom Juli 1944.
Das zerstörte Gebäude wurde 1956 abgetragen und nicht wieder aufgebaut.
Als amerikanische Truppen am Morgen des 30. April 1945
München von Westen her erreichten und die nur noch etwa
400 000 Einwohner zählende Hauptstadt der Bewegung
ohne ernsthafte Gegenwehr besetzten, war diese nur noch ein rauchendes
Trümmerfeld.
Der Stadtchronist berichtet in ziemlich nüchternen Worten von der
Übergabe der Stadt an die Amerikaner:
Oberrechtsrat Dr. Meister, der vom Stellvertreter des
Oberbürgermeisters mit der Übergabe der Stadt an die Amerikaner
beauftragt ist, übergibt einem um 16:05 Uhr auf dem Marienplatz
eintreffenden Major der 7. Armee das Rathaus.
Etwa eine halbe Stunde zuvor hatte sich Hitler im Berliner
Führerbunker erschossen.
Erst einen Tag später, am 1. Mai 1945, wurden auch die Stadtteile
rechts der Isar und damit Bogenhausen besetzt.
Die Isarbrücken waren trotz Befehls vom Kommandanten des zuständigen
Pionierbataillons nicht gesprengt worden.
Der Krieg war für München nun vorbei, von Normalität konnte jedoch
noch lange keine Rede sein, auch nicht an der Sternwarte.
Am 19. Dezember 1945 erhielt Rabe auf Veranlassung der amerikanischen
Militärverwaltung vom Kultusministerium ein Schreiben, mit dem ihm
seine Amtsenthebung mitgeteilt wurde.
Offenbar zog sich jedoch die Angelegenheit wegen ungeklärter
Zuständigkeiten noch einige Zeit hin, so dass Rabe vor seinem Weggang
am 18. Januar 1946 noch Burmeister zur Übernahme der Amtsgeschäfte
der Sternwarte ermächtigen konnte.
Im Juni 1948 lehnte die Universität eine Weiterbeschäftigung ab.
Sein im Rahmen der Entnazifizierung im August 1948
stattgefundenes Spruchkammerverfahren klassifizierte ihn als
Mitläufer , als eine Person also, die sich zwar nicht aktiv an
den Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt, aber auch nicht in
nennenswertem Umfang Widerstand geleistet hatte.
Die Sternwartanlage mit Umgebung nach einer amerikanischen Luftaufnahme
vom 25. April 1945, neun Monate nach ihrer Bombardierung.
Sie lässt u. a. erkennen, dass der Ostflügel der Sternwarte
offensichtlich irgendwann in neuerer Zeit nach Norden erweitert worden
war, um zusätzlichen Wohnraum für die Mitarbeiter zu schaffen.
Unterlagen zu dieser Bautätigkeit sind nicht mehr vorhanden.
Die Stadt München ging schwer gezeichnet aus dem Chaos des Luftkrieges
hervor.
Diese Schrägbildaufnahme der amerikanischen Luftwaffe vom 11. Mai 1945
dokumentiert die Zerstörungen im Bereich Ludwigstraße, Odeonsplatz
und Wittelsbacherplatz.
Trotz seines erzwungenen Ruhestandes ging Rabe ab Mai 1948 auch
weiterhin auf freiwilliger Basis in Bogenhausen seinen Forschungen
nach, bis er am Mittag des 1. April 1958 bei einem Verkehrsunfall
auf der Max-Joseph-Brücke ums Leben kam.
Der Anhänger eines Lastwagens schleuderte infolge eines Bruchs der
Kupplung auf den Bürgersteig und tötete den zu Fuß nach Hause Gehenden
auf der Stelle.
In seinem Nachruf heißt es:
Als Mensch war Rabe eine Persönlichkeit von überragender
Großzügigkeit.
. . .
In der Doppelsternastronomie wird sein Name unvergessen bleiben.
Die Astronomen würdigten seine Verdienste, indem sie 1973 einen
Marskrater von etwa 108 km Durchmesser nach ihm benannten.
![[Nach Rabe benannter Marskrater]](07_RabeKr1_.jpg)
Die ESA-Raumsonde Mars Express photographierte 2014 auch den
Impaktkrater Rabe.
Dabei wurde im Inneren des Kraters, der über 100 Kilometer Durchmesser
aufweist, ein ausgedehntes Dünenfeld von bis zu 200 Meter Höhe
entdeckt, das aus vulkanischen Aschepartikeln besteht und durch die
Wirkung von Marswinden entstand.
Bildquellen:
Nr. 2–4: USM
Nr. 1, 6: R. Bauer
Nr. 5: Landesvermessungsamt
Nr. 7, 8: WWW
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