Geschichte der Sternwarte
Wilkens – Astronomie
Als Nachfolger Seeligers wählte die Berufungskommission den
Breslauer Astronomen Alexander Wilkens (1881–1968), der wegen seiner
himmelsmechanischen Arbeiten und seiner Beobachtungsaffinität am
ehesten für die Struktur der Bogenhausener Sternwarte geeignet schien.
Er stammte ursprünglich aus Hamburg, hatte in Heidelberg, Kiel
und Göttingen Mathematik, Physik und Astronomie studiert, 1904 in
Göttingen unter Schwarzschild promoviert und war 1916 zum Direktor
der Sternwarte Breslau ernannt worden.
Seinen Dienst an der personell ausgedünnten Sternwarte in Bogenhausen
trat er am 1. Oktober 1925 an und begann sofort mit der instrumentellen
Aufrüstung des Observatoriums.
Als erstes bestellte Wilkens bei den Askania-Werken in Berlin-Friedenau
einen Vertikalkreis mit knapp 18 cm Objektivdurchmesser, ein
Spezialinstrument, das zur absoluten Deklinationsbestimmung von
Gestirnen Verwendung finden sollte.
Denn Positionsastronomie konnte noch ohne größere Beeinträchtigung
weiterhin in Bogenhausen betrieben werden, sie besaß allerdings neben
der sich stürmisch entwickelnden Astrophysik bei weitem nicht mehr
den Stellenwert wie früher.
![[Alexander Wilkens]](01_Wilkens_.jpg)
Alexander Wilkens, Nachfolger Seeligers als Sternwartdirektor und
Ordinarius für Astronomie an der Universität München, war von 1925 bis
1934 für die astronomischen Aktivitäten in Bogenhausen verantwortlich.
Der Askania-Vertikalkreis, ein spezielles Passageinstrument u. a. zur
Bestimmung absoluter Deklinationen, war eine Berufungszusage Wilkens’.
Die Bauweise eines solchen Instruments erlaubte eine zeitnahe
Wiederholungsmessung nach einer 180°-Drehung des Teleskops
um eine vertikale Säule.
Damit konnte das Beobachtungsergebnis erheblich verbessert werden.
Das Instrument wurde im Mai 1927 aufgestellt und befindet sich heute
noch in seiner charakteristischen, halbtonnenförmigen Behausung neben
dem Refraktorgebäude.
Wilkens selbst zeichnete für den Entwurf des eigenartigen Gebäudes
verantwortlich.
Daneben wurde auch der Fraunhofer-Refraktor technisch aufgewertet und
erhielt 1926 an Stelle des unbrauchbar gewordenen Gewichtsuhrwerkes
ein Zeißsches Elektromotor-Triebwerk neuester Konstruktion .
Im Jahre 1930 wurde dann die Firma Steinheil beauftragt, ein
28 ½ cm Photo-Objektiv herzustellen,
um den Refraktor für photographisch-photometrische und
photographisch-astrometrische Beobachtungen nutzen zu können.
Zur Ausführung spektroskopischer Arbeiten wurde ein Jahr später auch
noch ein passendes Objektivprisma in Auftrag gegeben, das allerdings
nie zum Einsatz kam.
Zur Auswertung der photographischen Aufnahmen, die am großen Refraktor
und mit dem Astrographen gewonnen werden sollten, war schon 1929
bei der Firma Toepfer & Co. in Berlin ein Hartmannsches
Mikrophotometer sowie 1930 noch ein Plattenmessapparat
erworben worden.
Die feinmechanische Werkstatt hatte man bereits 1927 erweitert,
um für die geplanten Aktivitäten besser gewappnet zu sein.
Wilkens selbst arbeitete jedoch nicht mit den astrophysikalisch
aufgewerteten Instrumenten, sondern beschäftigte sich fast
ausschließlich mit Problemen der theoretischen Astronomie.
Neben Methoden der astronomisch-geographischen Ortsbestimmung und der
Bahnbestimmung von Kometen und Planeten galt später seine besondere
Vorliebe der Theorie der Störungen, insbesondere den periodischen
Lösungen des eingeschränkten Dreikörperproblems.
Diese Aufnahme einer Schafherde, die schräg gegenüber der Sternwarte
auf einem Grundstück an der Ecke Scheiner- und Laplacestraße weidet,
entstand etwa 1926.
Sie demonstriert, dass sich Bogenhausen zu dieser Zeit noch einen
Hauch ländlicher Idylle bewahrt hatte.
Dieses Photo mit dem Titel Arbeitszimmer der Sternwarte wurde
am 15. Dezember 1928 aufgenommen.
Aus Mangel an Zeitzeugen ist eine eindeutige Identifizierung der
Personen nicht möglich.
Zu dieser Zeit hatte Wilkens, der nicht abgebildet ist, sieben
Mitarbeiter, incl. des Personals der Erdphysikalischen Warte und
des Erdmessungsbüros.
Die Beobachtungen am neuen Vertikalkreis delegierte Wilkens an
seinen Assistenten Wilhelm Rabe (1893–1958), der dessen in Breslau
begonnenen absoluten Deklinationsmessungen von Fundamentalsternen
fortsetzen musste und dabei nachweisen konnte, dass eine schon von
Wilkens festgestellte Diskrepanz zwischen den Deklinationssystemen
verschiedener Kataloge weitgehend verschwindet, wenn man die
Fernrohrbiegung bei der Reduktion der Messungen in geeigneter Weise
berücksichtigt.
Nachdem der Fraunhofer-Refraktor vorerst in gewohnter Weise zur
Ortsbestimmung von Kometen, kleinen Planeten und Nebeln
verwendet worden war, ging man ab 1926 dazu über, die relativen
Positionen visueller Doppelsterne zu vermessen und dabei auch ein
Reversionsprisma einzusetzen.
Ab 1932 wurde dann das mit dem Steinheilschen Objektiv in einen
Photorefraktor verwandelte Teleskop zur Bestimmung der
Farbindizes heller Sterne unter Benutzung von gelben, blauen und
violetten Filtern verwendet.
Astrophysikalische Methoden hielten in bescheidenem Maße auch an
den Zeiss’schen Astrographen Einzug, wo man, nachdem man anfangs
noch Kometen und kleine Planeten beobachtet hatte, schon ab
1930 eine Aktinometrie , also photographisch-photometrische
Helligkeitsbestimmungen hellerer Sternen durchzuführen begann.
Der immer wieder diskutierte Plan zum Betrieb einer Außenstation
nahm konkrete Formen an, als im Jahre 1931 der Arzt Hermann Strebel
(1868–1943) beabsichtigte, seine 1926/27 errichtete Privatsternwarte
in Herrsching am Ammersee mit umfangreichem Instrumentarium notariell
der Sternwarte in Bogenhausen zu vermachen.
Strebel hatte ab etwa 1900 in München praktiziert, 1910 am Ammersee ein
Grundstück erworben und damit begonnen, einen Bestand an astronomischen
Instrumenten anzulegen.
Dazu gehörten mehrere Refraktoren, darunter einer von der Münchener
Firma Reinfelder & Hertel mit einem Objektivdurchmesser von 19 cm
und einer Brennweite von 2.6 m, sowie drei horizontale Spiegelsysteme
des genialen, weltberühmten Hamburger Optikers Bernhard Schmidt
(1879–1935) zur Sonnenbeobachtung, das größte mit 60 cm Plan-
und Parabolspiegeldurchmesser und 15 m Brennweite.
Damit hatte Strebel das Hauptgewicht seiner Forschungsarbeit auf die
Untersuchung der Photosphärenphänomene der Sonne gelegt und war bald
eine führende Persönlichkeit auf dem Gebiet der Photographie von
Granulation und Sonnenflecken.
Darüberhinaus entwickelte Strebel eine neue Methode zur Erzeugung
monochromatischer Bilder von flächenhaft ausgedehnten leuchtenden
Objekten , also einen Spektroheliographen, mit dem man die Sonne
in beliebigen Farben sehen und photographieren konnte.
Strebels theoretische Interpretation der Sonnenphänomene konnte sich
allerdings nicht durchsetzen, da er sich weigerte, die Erkenntnisse
der Theorie der Sternatmosphären und der Atomphysik anzuwenden,
die er als Spekulationen abtat.
Zur Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften
hatte sich Strebel der Unterstützung Wilkens’ versichert, der
hier sofort eine Chance sah, die eingeleiteten astrophysikalischen
Bemühungen der Sternwarte Bogenhausen noch weiter zu verstärken.
Er konnte tatsächlich erreichen, dass Strebel 1932 noch zu seinen
Lebzeiten sein Observatorium der Sternwarte Bogenhausen angliederte.
Dabei behielt er zwar weiterhin die Leitung seiner Sternwarte, musste
sich jedoch Wilkens unterordnen.
Es wurde weiter vereinbart, dass die Strebelschen Instrumente im
äußersten Notfall nach Bogenhausen gebracht werden könnten
und nach Strebels Tod der Sternwarte Bogenhausen das alleinige
Verfügungsrecht zufallen würde.
Diese Angliederung war für beide Seiten von Nutzen:
Die Außenstelle profitierte von den Fachkenntnissen und der Mitarbeit
der professionellen Astronomen und diese konnten zusätzliches
Instrumentarium für ihre Forschungszwecke nutzen.
![[Hermann Strebel]](06_Strebel_.jpg)
Der Arzt Hermann Strebel gründete 1926/27 eine Privatsternwarte in
Wartaweil bei Herrsching am Ammersee und rüstete sie u. a. auch mit
einigen horizontalen Spiegelsystemen des Hamburger Optikers Bernhard
Schmidt aus, um damit Studien der Sonnenoberfläche durchzuführen.
Das Observatorium wurde 1932 eine Außenstation der Sternwarte
Bogenhausen und war bis etwa 1937 in Betrieb.
Nach der am 30. Januar 1933 erfolgten Machtergreifung Adolf
Hitlers (1879–1945) fing schon nach kurzer Zeit die Gleichschaltung
und die mit Willkür gepaarte Unterdrückung Andersdenkender an.
Diesen Geist sollte auch Wilkens in Bogenhausen bald zu
spüren bekommen, denn seine chaotische, von einer hohen
Durchflusscharakteristik geprägte Personalpolitik und seine
Persönlichkeitsstruktur, die sich in autoritärem, wenn nicht sogar
gelegentlich schikanösem Verhalten seinen Mitarbeitern gegenüber
äußerte und das Arbeitsklima an der Sternwarte überaus ungünstig
beeinflusste, konnte nun auch ideologisch motivierte Reaktionen
provozieren.
Schon im März 1933 fingen erste Denunziationen von Mitarbeitern an
mit dem Ziel, Wilkens aufgrund unvorsichtiger Äußerungen zu maßregeln
oder aus seinem Amt zu entfernen:
Er verhalte sich nicht gemäß den Vorstellungen des neuen Staates
und würdige die deutsche Freiheitsbewegung sowie
die Maßnahmen der Reichsregierung herab.
Die Angelegenheit entwickelte rasch eine derartige Eigendynamik, dass
Wilkens zum 1. April 1934 wegen politischer Unzuverlässigkeit
seines Amtes enthoben wurde, obwohl über einen gemeinsamen Bekannten
sich sogar der Führerstellvertreter Rudof Heß (1894–1988)
für ihn verwendet hatte.
Wilkens gab jedoch nicht kampflos auf und versuchte, eine Revision
dieser Entscheidung im Kultusministerium herbeizuführen.
Dabei erhielt er auch die Unterstützung mehrerer deutscher
Sternwartdirektoren, die der Meinung waren, er solle nicht entlassen
werden, auch wenn er eine gewisse menschliche Ungeschicklichkeit
in der Behandlung seiner Angestellten an den Tag gelegt hätte.
Als aber auch Eingaben Wilkens’ an Hitler selbst, den
Reichsarbeitsminister und das Reichs- und Preußische
Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sich
erfolglos zeigten, blieb ihm keine andere Möglichkeit mehr, als sich
mit den Gegebenheiten abzufinden.
Erstaunlicherweise bekam er 1937 ein Angebot für ein Extraordinariat in
Kiel, stand gleichzeitig in Verhandlungen mit der Deutschen Universität
in Prag und erhielt Rufe nach Istanbul und La Plata/Argentinien.
Wilkens entschied sich für Südamerika und trat eine Professur an der
Universität und am Observatorio Astronómico in La Plata an, die er
von 1937 bis 1953 innehatte.
Anschließend kehrte er nach München zurück und verbrachte dort seinen
Lebensabend.
Er starb Anfang 1968 und war der letzte Direktor der Sternwarte,
der auf dem Bogenhausener Friedhof St. Georg seine letzte Ruhe fand.
Der Asteroid Nr. 1688 Wilkens, der am 3. März 1951
am Observatorium La Plata entdeckt worden war und mit einer Periode
von etwa vier Jahren die Sonne umrundet, erinnert heute noch ihn.
Bildquellen:
Nr. 1–3, 5: USM
Nr. 4: M. Simon
Nr. 6, 7: F. Litten
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