Geschichte der Sternwarte
Seeliger – Geophysik
Im Zuge des Ausbaus von Bogenhausen zu einem Prominentenviertel und
dem damit verbundenen Wunsch nach einer adäquaten Verkehrsanbindung
nach München stand Seeliger schon bald weiterer Ärger ins Haus.
Er hatte ab 1. Januar 1887 wegen der stark abgenutzten Apparate
und mangels Personal die erdmagnetischen Messungen einstellen lassen
und damit eine fast 50 Jahre andauernde Messreihe der Kenngrößen des
Erdmagnetfeldes beendet.
Doch schon im Jahre 1891 war von der Akademie die Frage der
Wiederaufnahme solcher Beobachtungen diskutiert worden und eine
Kommission, der auch Seeliger angehörte, befürwortete in einem
ausführlichen Gutachten diese Absicht.
Seeliger äußerte sich hierzu in einem späteren Bericht:
Indessen wurde es bald klar, dass die Verwirklichung des Projectes
nur dann möglich sei, wenn das zu errichtende Institut auf dem Terrain
der Sternwarte Platz finden könnte und sein Betrieb dem der Sternwarte
angegliedert werde.
Etwaige Bedenken gegen eine durchaus heterogene Erweiterung des
Thätigkeitsbereichs der Sternwarte mussten deshalb zurücktreten und
der Unterzeichnete konnte sich schliesslich mit einem Arrangement
einverstanden erklären, nach welchem dem neuen Institut eine gewisse
Selbständigkeit zugesprochen wurde und nach welchem die Leitung beider
Anstalten wohl dieselbe zu sein hat, ein besonderer Observator aber
für die erdmagnetischen Arbeiten anzustellen ist.
Aber erst Anfang 1896 war die Akademie in der Lage, die erforderlichen
Mittel für die Bauarbeiten und die Bezahlung eines eigenen Observators
zur Verfügung zu stellen.
Die Stelle wurde ab 1. August 1896 einem Schüler Lamonts, dem
Astronomen und Erdmagnetiker Franz Xaver v. Schwarz (1847–1903),
übertragen, der von 1874 bis 1890 in russischen Diensten das
Observatorium in Taschkent geleitet und sich in dieser Zeit auch
durch seine anthropologischen Studien und Expeditionen nach Innerasien
einen Namen gemacht hatte.
Das noch vorhandene alte Gebäude für Absolutmessungen bedurfte
nur einer gründlichen Renovierung und der Bau des unterirdischen
Variationshauses zog sich wegen Problemen bei der Beschaffung
nichtmagnetischen Baumaterials etwas in die Länge, war dann aber
Mitte 1897 abgeschlossen.
Nachdem Schwarz die erforderlichen magnetischen Messgeräte und
Registrierapparate von namhaften Herstellern erworben hatte, konnte
schließlich ab 1. Januar 1899 mit der regelmäßigen photographischen
Aufzeichnung des Verlaufs der erdmagnetischen Elemente begonnen werden.
Es gab jedoch von Anfang an Schwierigkeiten, da die zur Messung
der Vertikalintensität nötige Empfindlichkeit nicht erreicht
werden konnte und daher nur die Messungen der Deklination und der
Horizontalintensität des Erdmagnetfeldes brauchbare Ergebnisse
lieferten.
![[Lageplan der Sternwarte von 1883]](01_Plan1883_.jpg) ![[Plan des Hauses für Variationsmessungen]](02_Vario_.jpg)
Links:
Der Lageplan aus dem Jahre 1883 zeigt die Einrichtungen der Sternwarte,
wie sie von Lamont hinterlassen worden waren.
Mitte:
Plan des Hauses für Variationsmessungen, das im Zuge der Wiederaufnahme
der erdmagnetischen Messungen 1897 errichtet wurde.
Das noch vorhandene Gebäude für Absolutmessungen wurde einer
gründlichen Renovierung unterzogen.
Rechts:
Dieser Plan des Sternwartgeländes wurde 1904 publiziert und zeigt neben
dem Haupt- und Refraktorgebäude, den alten Lamontschen Messstationen
und Seeligers Wohnhaus auch die neuen geophysikalischen Einrichtungen.
Die Lage der im gleichen Jahr errichteten Erdbebenstation ist noch
nicht angegeben.
Als die schon seit Mitte der 1890er Jahre diskutierte Einführung
einer elektrischen Straßenbahn in der Ismaninger Straße konkrete
Formen annahm, regte sich sofort Widerstand von seiten des Observators
Schwarz, der von der in einer Entfernung von etwa 200 Metern an den
Instrumenten vorbeifahrenden Trambahn Störungen seiner geplanten
empfindlichen Messungen erwartete.
Da der bekannte Physiker Friedrich Kohlrausch (1840–1910) in einer
1895 erschienen Arbeit festgestellt hatte, dass die magnetischen
Streufelder elektrischer Straßenbahnen einen erheblichen Einfluss
auf sensible magnetische Messungen haben, konnte Schwarz Seeliger
überreden, bei den zuständigen Stellen zu intervenieren.
In einem Schreiben an das Generalkonservatorium vom 14. November
1897 stellte Seeliger daher die Situation dar und verlangte, dass in
der Ismaninger Straße nur Trambahnen mit Batteriebetrieb eingesetzt
werden sollten und sich weitere, möglicherweise geplante Linien der
Sternwarte nicht auf weniger als 200 bis 300 Metern nähern dürften.
Das Innenministerium, an das der Brief vom Generalkonservatorium
weitergeleitet worden war, antwortete schon vier Tage später und
erklärte sich in dieser Angelegenheit für nicht zuständig.
Seeliger solle sich daher direkt an den Magistrat der Stadt München
als dem Eigentümer der Straßenbahn wenden.
Dieser lehnte jedoch Änderungen an seinen Ausbauplänen ab, empfahl
aber Testmessungen zur Ermittlung der tatsächlichen Störeffekte.
In der Leichenhalle des Ostfriedhofs, einige Kilometer südlich der
Sternwarte, wurde dann ein geeigneter Ort hierfür gefunden.
Die elektrische Trambahn in der Tegernseer Landstraße am westlichen
Ende des Friedhofs war von dort etwa gleich weit entfernt, wie die
in der Ismaninger Straße geplante von der Sternwarte.
Die offiziellen Messungen wurden nach einiger Vorbereitung am Morgen
des 7. Februar 1898 vorgenommen.
Neben Schwarz waren zwei Ingenieure, die den Magistrat bzw. die
Trambahngesellschaft vertraten, sowie ein Physiker als unabhängiger
Sachverständiger anwesend.
Da mit den vorhandenen Instrumenten nur Störungen der
Horizontalkomponente des Erdmagnetfeldes gemessen werden konnten und
eigentlich bekannt war, dass die Störungen durch die Straßenbahn
hauptsächlich die Vertikalkomponente beeinflussten, haftete diesem
Experiment von Anfang an das Odium einer Farce an.
Trotzdem, oder gerade deshalb, glaubte Schwarz, nach dem Ertönen
eines Pfeifsignals und dem Anfahren der Trambahn immer wieder einen
Störeffekt feststellen zu können, während dies den anderen Personen
jedoch versagt blieb.
Das offizielle Gutachten kam daher zu dem Ergebnis, dass kein merkbarer
Einfluss vorliege.
Trotzdem vertrat Schwarz weiterhin die Meinung, dass mit der in der
Leichenhalle eingesetzten Messanordnung gar nichts bewiesen werden
könne.
Als Seeliger auf der Grundlage des Gutachtens seinen Einspruch
zurückzog, löste dies nachhaltige Verstimmungen zwischen ihm und
Schwarz aus.
Mit Beschluss des Innenministeriums vom 15. Juni 1901 stand dann dem
Bau der elektrischen Straßenbahn in der Ismaninger Straße nichts mehr
im Wege.
Schon Anfang 1902 musste Schwarz jedoch aus gesundheitlichen Gründen
um seine Pensionierung nachsuchen.
Seeliger bemerkte hierzu:
Es war ihm leider nicht vergönnt, sich lange der wohlverdienten
Ruhe zu erfreuen.
Zunehmende körperliche Beschwerden nahmen ihm die Freude am Leben,
und im Anfang des laufenden Jahres schied er in einer besonders
qualvollen Stunde freiwillig aus demselben.
![[Münchener Pferdebahn]](04_TramPferd1876_.jpg)
Die Münchener Pferdebahn hatte Ende 1876 ihren Betrieb aufgenommen,
um dem Verkehrsbedürfnis der wachsenden Stadt zu genügen.
Schon ab 1891 plante man dann die Elektrifizierung der
Pferdebahnlinien.
Die Bevölkerung betrauerte die Abschaffung des beliebten
Transportmittels.
Das Bild zeigt eine elektrische Münchener Straßenbahn im Jahre 1898.
![[Lageplan des Ostfriedhofs]](06_Ostfr_.jpg)
Der Magistrat der Stadt München empfahl zur Überprüfung eines möglichen
Einflusses des geplanten Straßenbahnbetriebs in der Ismaningerstraße
auf die erdmagnetischen Messungen an der Sternwarte die Durchführung
von Testmessungen, die am 7. Februar 1898 in der Leichenhalle des
Ostfriedhofs stattfanden.
In der Tegernseer Landstraße am westlichen Ende des Friedhofs
existierte damals schon eine elektrische Trambahnlinie, die in etwa
die gleichen Entfernung von der Leichenhalle aufwies wie die der
geplanten Linie von der Sternwarte.
Die Abbildung zeigt die Lage der Leichenhalle und der Straßenbahnlinie
in ca. 200 Metern Entfernung.
Bei den Messungen war auch Franz Xaver v. Schwarz anwesend,
der von 1896 bis 1902 erdmagnetischer Observator an der Sternwarte war.
![[Bericht aus den Münchener Neuesten Nachrichten]](08_MNN18980702_.jpg)
Die Angelegenheit war für die Öffentlichkeit so interessant, dass noch
am 7. Februar 1898, dem Tag der Messung, ein detaillierter Bericht
in den Münchener Neuesten Nachrichten erschien.
Die gleiche Zeitung informierte am 6. April 1898 ihre Leserschaft,
dass Seeliger seinen Widerstand gegen den Bau der Straßenbahnlinie
unter einigen Bedingungen aufgegeben habe:
So sollte sich der Magistrat ein anderes Betriebssystem
überlegen, falls doch noch merkbare Störungen auftreten würden.
Außerdem dürfe keine weitere Linie sogar bis zu einer Entfernung von
1.5 Kilometern zur der Sternwarte gebaut werden.
Nach der Inbetriebnahme der elektrischen Straßenbahn in der Ismaninger
Straße und mit dem zunehmenden Autoverkehr verschlechterte sich die
Situation des Observatoriums tatsächlich von Jahr zu Jahr, so dass
viele der Messungen nur noch zur Nachtzeit durchgeführt werden konnten.
Dies veranlasste den Nachfolger von Schwarz, Johann Baptist
Messerschmitt (1861–1912), die untragbare Situation in
einer Denkschrift festzuhalten und am 12. April 1911 an das
Generalkonservatorium zu übermitteln mit der Bitte,
höheren Ortes befürworten zu wollen, dass weitere Störungen der
Beobachtungen nach Kräften hintangehalten werden.
Falls dies nicht möglich sei, müssten Schritte für eine Verlegung
des Observatoriums eingeleitet werden.
Es konnte damit jedoch weder die Entwicklung Bogenhausen beeinflusst,
noch die Standortfrage zu dieser Zeit ernsthaft in Angriff genommen
werden.
Der Physiker Friedrich Burmeister (1890–1969), ein Schüler Seeligers,
der die während des Ersten Weltkrieges wegen Personalmangels ruhenden
erdmagnetischen Aktivitäten fortsetzen sollte, fand die Instrumente
in einem sehr verwahrlosten Zustand vor .
Soweit möglich schaffte er Abhilfe und konnte die Registrierung der
Deklination des Erdmagnetfeldes fortsetzen, während die Aufzeichnung
der Horizontalintensität wegen der Unzuverlässigkeit ihrer Ergebnisse
schon 1914 eingestellt worden waren.
Burmeister, der das erdmagnetische Observatorium bis 1957 leitete,
verfolgte dann nahezu 20 Jahre mit großer Beharrlichkeit das Ziel,
einen neuen Standort für die erdmagnetischen Beobachtungen zu finden.
Es ist ihm zu verdanken, dass das Observatorium nicht unterging,
sondern an anderer Stelle fortgeführt werden konnte.
![[Friedrich Burmeister]](10_Burmeis_.jpg)
Friedrich Burmeister (links) trat seinen Dienst 1919 an und war dann
fast 40 Jahre lang für die erdmagnetischen Aktivitäten der Sternwarte
verantwortlich.
Karl Wolfgang Lutz (rechts) leitete die Erdbebenstation von 1905
bis 1943.
Nach der Wiederaufnahme der erdmagnetischen Beobachtungen fiel auch
der Startschuss für weitere geophysikalische Aktivitäten:
Im Jahre 1904 begann man mit regelmäßigen Messungen der
Luftelektrizität und errichtete ein Erdbebenhaus, das mit einem
Wiechertschen Seismographen ausgerüstet wurde und im September 1905
seinen Dienst aufnahm.
Zum Leiter der Anlage wurde der Geophysiker Karl Wolfgang Lutz
(1878–1946) bestellt, der vorher Assistent an der Sternwarte war
und seine Tätigkeit bis zu seiner Pension 1942 ausüben sollte.
Mit den aufgezeichneten Daten der zahlreichen Erdbeben (so z. B.
120 Beben im Jahre 1910, 150 im Jahre 1912 oder sogar 200 im
Jahre 1911) versuchte Lutz Beiträge zur Aufklärung der Struktur des
tiefen Erdinneren zu leisten.
Zur Erhöhung der Datenvielfalt arbeitet ab 1912 eine
Erdbebennebenstelle in Nördlingen, die zur Registrierung der
Nachbeben der Rauhen Alb eingerichtet worden war, und ab 1914 eine
in Hausham, welche die dort häufig auftretenden Gebirgsschläge bis
1923 aufzeichnete.
![[Das Erdbebenhaus]](12_ErdbHaus_.jpg)
Das 1904 errichtete Erdbebenhaus wurde mit einem Wiechertschen
Seismographen ausgestattet und nahm im September 1905 seinen
regelmäßigen Dienst auf.
Zum Schutz vor Luftströmungen und anderen Einflüssen war der
Seismograph in einem schrankartigen, verglasten Gehäuse untergebracht.
![[Seismogramm vom 18. April 1906]](14_SF1906_.jpg)
Am 18. April 1906 wurde auch das Beben von San Francisco aufgezeichnet,
in dessen Folge weite Teile dieser Stadt abbrannten.
Am 28. Dezember 1908 registrierte man das Beben von Messina, das
mit einem verheerenden Tsunami mehr als100 000 Tote
verursachte.
Bildquellen:
Nr. 1, 3, 7, 10, 11: USM
Nr. 2, 6, 8, 9, 12–15: H. Soffel
Nr. 4, 5: WWW
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