Geschichte der Sternwarte
Seeliger – Bogenhausen
Bereits Anfang der 1890er Jahre hatten sich dräuende Wolken über
der Sternwarte zusammengezogen, die in der Folge die Ausübung
astronomischer Beobachtungstätigkeit immer mehr behinderten und
letztendlich ihren allmählichen Abstieg in die Bedeutungslosigkeit
einleiteten.
Da die Gemeinde Bogenhausen ausgedehnte Grundstücke besaß, die im
Rahmen einer neuen Siedlungspolitik Münchens attraktiv erschienen
und auch Bogenhausen auf finanzielle Vorteile hoffen liess, waren
die seit den 1860er Jahren laufenden Bestrebungen Bogenhausens auf
Eingemeindung nach München letztendlich zum 1. Januar 1892 erfolgreich.
Noch im gleichen Jahre wurde dann ein Stadterweiterungswettbewerb zur
Schaffung eines Villenviertels für gehobene Ansprüche in Bogenhausen
ausgeschrieben und das neugeschaffene Stadterweiterungsbureau
erarbeitete einen detaillierten Baulinienplan.
Danach durften nicht schachbrettartige Straßen das neue Viertel
zerschneiden, sondern sie sollten im Zeichen eines neuen
malerischen Städtebaus durch Krümmungen oder leichte Abknickungen
optisch verkürzt erscheinen und an Kreuzungspunkten versetzt angelegt
werden.
Lediglich die Possartstraße wurde in der Verlängerung des
Meridiansaales der Sternwarte exakt in Nord-Süd-Richtung angelegt,
um die Messungen mit den Meridianinstrumenten nicht durch Häuser
zu stören.
Seeliger hatte sich schon 1894 in die Planungen eingemischt und auch
in Bezug auf den Ausbau der Sternwartstraße Forderungen gestellt.
Im August 1897 einigte sich dann der Magistrat der Stadt München
auf die Grundzüge, nach denen die Bebauung im Gebiet zwischen
Prinzregentenstraße, Ismaninger Straße und Sternwarte durchgeführt
werden sollte.
Zu dieser Zeit stieg die eben neu gegründete
Heilmannsche Immobiliengesellschaft in das Grundstücksgeschäft in
Bogenhausen ein und entwickelte sich in kurzer Zeit zur erfolgreichsten
Terraingesellschaft Münchens.
Da die Lehmlager der Ziegeleien allmählich versiegten, entschlossen
sich die meisten Ziegeleibesitzer, ihren Grund an die Heilmannsche
Gesellschaft bzw. auch an zwei weitere Unternehmungen, die auf
Bogenhausener Gelände aktiv waren, zu veräußern.
Um den weiteren Ausbau der Prinzregentenstraße zu fördern und
auch um das geplante Villenviertel aufzuwerten, schlossen sich
diese drei Gesellschaften 1899 mit einigen Geldgebern zur
Prinzregenten-Theater-Gesellschaft zusammen und unterstützt
durch die intensive Öffentlichkeitsarbeit des Generaldirektors und
Intendanten der Königlichen Hoftheater Ernst v. Possart (1841–1921)
konnte man in der relativ kurzen Zeit von 1900 bis 1901 das geplante
Theater in starker Anlehnung an das Richard-Wagner-Festspielhaus in
Bayreuth realisieren und im August 1901 mit einer Inszenierung der
Meistersinger von Nürnberg feierlich einweihen.
Dabei war der Einsatz der Terraingesellschaften, die Bauland zur
Verfügung gestellt hatten, natürlich nicht ganz uneigennützig, denn
man erwartete sich durch den Theaterbetrieb eine Preissteigerung
der umliegenden Grundstücke und eine Aufwertung des geplanten
Villenviertels.
Noch vor der Eröffnung des Theaters hatte Seeliger versucht, die
Bebauung des Areals zumindest zu verzögern.
In einem Schreiben an das Generalkonservatorium schilderte er die
Zukunft seines Observatoriums in den düstersten Farben:
Die Ausdehnung der Stadt München nach Osten, der Umstand, daß die
die Sternwarte im Süden und Westen begrenzenden Felder und Anwesen in
die Hände von Baugesellschaften gefallen sind, welche die Bebauung mit
allen Mitteln und ohne Rücksicht auf die k. Sternwarte durchzuführen
bestrebt sind, hat für die genannte Anstalt so große Gefahren
heraufbeschworen , dass er das hohe Generalkonservatorium
von der Sachlage in Kenntnis setzen müsse.
Seeliger wies darauf hin, dass nach der Münchener Bauordnung
bei Neubauten in der Nähe von Gebäuden für Zwecke der Wissenschaft
oder Kunst eine allerhöchste Baugenehmigung vorliegen müsse.
Nach seiner Auffassung seien diese Bestimmungen jedoch nicht beachtet
worden.
So habe man in der Lamont- und Herschelstraße den Bau
himmelhoher Häuser gestattet und die kürzlich in der Ismaninger
Straße entstandenen Häuserungetüme zeigten, wie die Umgebung
der Sternwarte in absehbarer Zeit aussehen könne.
Seeliger schlug daher vor, eine Bebauung nur außerhalb eines Radius
von 500 bis 600 Metern um die Sternwarte zuzulassen und die Bauhöhe
der Häuser zu reduzieren.
Außerdem solle die Possartstraße möglichst eine Breite von 40 Metern
erhalten und die Straßen auch in größerer Entfernung von der Sternwarte
dürften nicht mit Bogenlampen beleuchtet werden.
Das Generalkonservatorium leitete den Brief an das Innenministerium
weiter, das der Argumentation Seeligers folgte.
Auch die Heilmannsche Immobiliengesellschaft erklärte sich bereit,
weitgehend auf die Forderungen Seeligers einzugehen.
Im April 1902 lag dann der Bescheid zur Änderung der Baustaffel in
der Umgebung der Sternwarte vor.
Danach rückte die Bebauung zwar bis 150 Meter an das Observatorium
heran, aber die Villen südlich und östlich dieses Kreises durften
nur eine Simshöhe von 12 Metern aufweisen.
Plan von Bogenhausen etwa zu der Zeit, als Seeliger die Leitung der
Sternwarte übernahm.
![[Bebauungsplan der Lokalbaukommission]](02_Heilmann2_.jpg)
Bebauungsplan der Lokalbaukommission aus dem Jahre 1906 für das neue
Villenviertel Bogenhausen und die unmittelbare Umgebung der Sternwarte:
Im Umkreis von 150 Metern durfte nur Baustaffel 9 (Villen mit
Erdgeschoss und einem Stockwerk) zur Ausführung kommen.
Seeliger hatte hier vergeblich eine bebauungsfreie Zone mit einem
Radius von mindestens 500 Metern gefordert.
Staffel 8 erlaubte Gebäude bis höchstens 12 Metern Höhe, während
Staffel 4 zweistöckige Häuser mit bis zu 15 Metern Höhe zuließ.
Die Areale der Baustaffel 3 konnten mit bis zu 18 Meter hohen Gebäuden
bebaut werden.
Die Possartstraße wurde den Bedürfnissen der Sternwarte entsprechend
in der Verlängerung des Meridiansaales exakt nach Süden ausgerichtet,
während die übrigen Straßen der damaligen Sitte entsprechend meist
leicht gekrümmt geplant wurden.
![[Darstellung der Bebauung]](04_Heilmann4_.jpg)
Auf dieser 1907 entstandenen Darstellung (Gesamtansicht und
Ausschnitt), die einen Blick aus der Vogelperspektive erlaubt,
scheinen alle Baumaßnahmen auf die Sternwarte, einem Zentrum des
neuen Bogenhausens, ausgerichtet zu sein.
Sie waren dabei zugeschnitten auf die
vornehme Welt, die geistige und Finanzaristokratie, die sich nach
München wendet, um in der anregenden Sphäre der berühmten Kunststadt
dauernd sich niederzulassen.
Die Vermarktung der Villen und Einfamilienhäuser aus dem Jahre 1910
suggeriert sogar die Exklusivität der Bogenhausener Reihenhäuser und
macht Werbung mit ihrer Nähe zur Sternwarte:
Eine Dame aus einem hochherrschaftlichen Einfamilienhaus läßt
sich von ihrem Chauffeur mit dem Automobil in die Stadt bringen.
![[Blick vom Dach des Westflügels der Sternwarte]](07_STW1_.jpg) ![[Blick vom Dach des Westflügels der Sternwarte]](08_STW2_.jpg)
![[Blick vom Dach des Westflügels der Sternwarte]](09_STW3_.jpg) ![[Blick vom Dach des Westflügels der Sternwarte]](10_STW4_.jpg)
Der Blick vom Dach des Westflügels der Sternwarte nach Süden bzw.
Südosten dokumentiert, wie im Laufe der Jahre durch die rege
Bautätigkeit Villen und Häuser der Sternwarte immer näher rückten.
Trotzdem Seeliger der Heilmannschen Immobiliengesellschaft im
Zusammenhang mit dem Ausbaus der Sternwartstraße noch weitere
Probleme bereitete, war diese bis Ende 1907 fertiggestellt, ebenso
wie die Cuvilliés-, die Herschel-, die Holbein-, die Lamont- und die
Possartstraße sowie der Galileiplatz.
In der Folge entstand nun innerhalb weniger Jahre eines der schönsten
und architektonisch herausragendsten Villenviertel Münchens.
Die Immobiliengesellschaft fand tatsächlich auch die vornehme,
wohlhabende und anspruchsvolle Klientel, die sie in ihrer Werbung
ansprach:
Adelige, Wissenschaftler, hohe Beamte, Maler, Bildhauer,
Schauspieler, Schriftsteller, Industrielle, Kaufleute, aber auch
reiche Brauereibesitzer, Gastwirte und Ziegeleibarone verschafften
diesem Quartier sein unvergleichliches Gepräge.
Auch Altbogenhausen veränderte sich in dieser Zeit grundlegend,
als aus diesem stillen Erdenwinkel die vornehmste und schönste
Villensiedlung Münchens wurde.
Bereits 1903 hatte der Magistrat der Stadt München die Auswirkungen
dieser Stadterweiterung auf die Sternwarte erkannt und war in
einem Plenarbeschluss zu der Überzeugung gekommen, dass man trotz
der getroffenen Schutzmaßnahmen in nicht allzu ferner Zukunft eine
Verlegung der Sternwarte ins Auge fassen müsse:
Das stete Anwachsen Münchens, die unaufhaltsame Stadterweiterung
mit den ganzen unvermeidlichen und für eine Sternwarte unangenehmen
Folgeerscheinungen als Rauch, Strassenstaub, namentlich auch
im Sommer die unangenehme und dunstige Atmosphäre, der lebhafte
Trambahn- und Fuhrwerksverkehr auf der Ismaningerstrasse, d. i. die
zweitbedeutendste Zufahrtstrasse Münchens, und andere Umstände werden
es dahin bringen, dass die kgl. Sternwarte in Bogenhausen trotz aller
für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen gleich lästigen Auflagen
und Beschränkungen nie mehr die reine und ungestörte Lage gewinnt,
wie es für ein derartiges Institut eigentlich notwendig wäre.
Bildquellen:
Nr. 2, 3, 5, 7–11: USM
Nr. 1, 4, 6: WWW
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