Geschichte der Sternwarte
Seeliger – Astronomie (1)
Als Seeliger Mitte Oktober 1882 sein Amt in Bogenhausen antrat,
übernahm er verwahrloste Gebäude mit Wohn- und Arbeitszimmern,
welche sich in einem geradezu trübseligen Zustande befanden .
Hinzu kam, dass neben der eigentlich schon veralteten
Gründungsausstattung und dem 1835 aufgestellten Fraunhofer-Refraktor
keine größeren Neuanschaffungen mehr getätigt worden waren.
Lamont hatte lediglich noch einige Uhren und kleinere Geräte
anschaffen können.
Seeliger musste sich daher zunächst darauf konzentrieren, die
Sternwarte wieder zu einer arbeitsfähigen Einrichtung zu machen.
Er kam zu der Erkenntnis, dass der Fraunhofer-Refraktor noch weiterhin
sinnvoll eingesetzt werden könne, wenn die Montierung modernisiert
und eine neue Drehkuppel installiert würde.
Eine eingehende Revision des Reichenbachschen Meridiankreises dagegen
lohne sich nicht mehr, da die erforderlichen Kosten einem Neukauf
gleichkämen.
Das Personal der Sternwarte bestand zu dieser Zeit neben Seeliger
aus dem Ersten Assistenten Feldkirchner, einem Gehilfen und
einem Mechaniker.
Im Laufe des Jahres 1883 kam noch Bauschinger nach Abschluss
seiner Universitätsstudien als Assistent hinzu.
Die Arbeiten am Sternwartgebäude konnten schon Anfang 1883 beendet
werden, ebenso die Errichtung eines gedeckten Ganges zwischen
Hauptgebäude und Refraktorbau.
Das Fehlen eines solchen Ganges war
in Anbetracht der exponirten Lage der Bogenhausener Sternwarte
ein offenbarer und grosser Übelstand.
Im Sommer des gleichen Jahres wurden dann die Reparaturarbeiten im
Meridiansaal und an den beiden Drehkuppeln abgeschlossen.
Im September schließlich war dann die neue Kuppel des Refraktorgebäudes
betriebsbereit und in den folgenden Monaten erhielt der Refraktor
seine neue Montierung.
Anfang 1884 konnte dann das mit einem Positionsmikrometer aus
der Repsoldschen Werkstatt in Hamburg, einem führenden Hersteller
astronomischer Instrumente, ausgestattete Teleskop seinen Betrieb
aufnehmen.
Im Laufe der folgenden Jahre wurden dann noch weitere instrumentelle
Anschaffungen getätigt:
Die Firma Repsold stellte im Juli 1891 einen modernen Meridiankreis
mit 15 cm Öffnung und 1.8 m Brennweite im Meridiansaal auf, der
bald zum Hauptinstrument der Sternwarte werden sollte.
Von den kleineren Instrumenten ist ein 1883 erworbener Refraktor von
Steinheil mit 13 cm Öffnung zu erwähnen, der im Jahre 1900 noch mit
zwei 10-cm-Astrokameras von Zeiss versehen wurde.
Die baulichen Aktivitäten wurden 1886 mit der Errichtung einer
eigenen Dienstvilla Seeligers auf dem südwestlichen
Terrain der Sternwarte abgeschlossen.
Hugo v. Seeliger leitete als dritter Direktor die Sternwarte
Bogenhausen von 1882 bis 1924.
Die Sternwartanlage (Blick von Süden) etwa zur Zeit des
Amtsantritts von Seeliger.
![[Seeligers Villa]](03_Villa1_.jpg)
Seeligers 1886 erbaute Villa, aufgenommen vom Dach der Sternwarte
mit Blick nach Südwesten auf einen Teil der Stadt München.
Seeliger mit seinen beiden Söhnen Rudolf und Wolfgang sowie seinem
Hund vor dem Eingang des repräsentativen Gebäudes um 1900.
Rudolf Seeliger (1886–1965) studierte in München bei Arnold Sommerfeld
(1868–1951) Physik und machte später als Ordinarius Greifswald zu
einem international angesehenen Zentrum für Plasmaphysik.
Wolfgang Seeliger (1888–1935) praktizierte nach seinem Medizinstudium
als Augenarzt in München.
![[Seeligers Villa]](06_Villa4_.jpg)
Die Villa Seeligers dominiert auf diesen etwa 1900 aus Südwest
aufgenommenen Bildern die Sternwartanlage (rechts) und das Dorf
Bogenhausen (links).
Die weiten Wiesenflächen sollten bald der Vergangenheit angehören.
![[Der Fraunhofersche Refraktor]](08_Refrak1_.jpg)
Eine sehr rege Beobachtungstätigkeit setzte ab 1884 am
Fraunhofer-Refraktor ein.
Die beiden Bilder zeigen ihn mit dem 1883 erworbenen Repsoldschen
Mikrometer.
Für Jahrzehnte stand dabei die Ortsbestimmung von Kometen,
die Vermessung des Saturn-Ringsystems sowie die Beobachtung von
Doppelsternen, Sternhaufen und Nebelflecken auf dem Programm.
Ab ca. 1910 wurden Helligkeiten von Novae mit einem Töpferschen
Keilphotometer bestimmt.
Ein weiteres Hauptarbeitsgebiet waren Untersuchungen der grossen und
kleinen Planeten.
![[Der Kleinplanet Monachia]](10_Monachia_.jpg)
Am 18.
November 1897 gelang in diesem Zusammenhang einem Assistenten
Seeligers, Walter Villiger (1872–1938), die Entdeckung des
428. kleinen Planeten, der nach der Stadt München den Namen MONACHIA
erhielt.
Wir wissen heute, dass dieses Objekt 13. Größe ein Steinbrocken mit
einem Durchmesser von etwa 18 km ist, sich mit einer Periode von
3.6 Stunden um eine seiner Achsen dreht (kleine Planeten haben fast
immer eine asphärische Gestalt) und die Sonne in 3.5 Jahren umläuft.
Da sich Planeten relativ zu den Sternen bewegen, ist MONACHIA daher
als Strichspur auf der Aufnahme zu erkennen, die Anfang der 1990er
Jahre bei Tests eines neuen elektronischen Detektors im Observatorium
Wendelstein (vgl. später) entstand.
Der Schweizer Villiger machte ab 1902 Karriere als Ingenieur bei der
Firma Zeiss in Jena.
![[August Kühl]](12_Kuehl_.jpg)
Im Jahre 1913 wurde der Refraktor nach einem halben Jahr Vorbereitung
längere Zeit zur photometrischen Untersuchung der Sonnenoberfläche
mit Hilfe lichtelektrischer Kaliumzellen eingesetzt.
Diese photoelektrischen Helligkeitsmessungen der Sonne gehören somit
zu den ersten überhaupt, die jemals zustande gekommen sind.
Sie waren von dem gebürtigen Schweizer Robert Emden (1862–1940)
initiiert und in Kooperation mit dem Sternwartassistenten August Kühl
(1885–1955) ausgeführt worden.
Emden war Professor für Theoretische Physik und Meteorologie an
der Technischen Hochschule in München und stand astrophysikalischen
Methoden sehr aufgeschlossen gegenüber.
Sein 1907 erschienenes Buch Gaskugeln, das die Expansion und
Kompression von Gaskugeln und ihre Anwendung auf den inneren Aufbau
der Sterne behandelt, legte die Grundlagen zur Theorie des Sternaufbaus
und war jahrzehntelang im Gebrauch.
Kühl avancierte 1925 zum Chefphysiker der Optischen Werke Rodenstock in
München und wurde 1935 Professor für Angewandte und Physiologische Optik
an der Universität Jena sowie Direktor des von der Carl-Zeiss-Stiftung
getragenen Universitäts-Instituts.
Der Repsoldsche Meridiankreis wurde 1891 im Meridiansaal aufgestellt
und war jahrzehntelang das Hauptinstrument der Sternwarte.
Mit der ständigen Beobachtung der Fundamentalsterne, Untersuchungen
zur Refraktionstheorie und Parallaxenmessungen wurde er im klassischen
Aufgabenbereich einer Sternwarte jener Zeit eingesetzt.
Der Steinheil-Refraktor mit Doppelastrograph von Zeiss befand sich
in der Ostkuppel des Sternwartgebäudes.
Ersterer diente vor allem der Beobachtung von Kometen, mit letzterem
wurde über viele Jahre zur Untermauerung von Seeligers Theorie der
räumlichen Verteilung der Sterne ein umfangreiches photographisches
Beobachtungsprogramm durchgeführt.
Die etwa 2000 Aufnahmen brachten jedoch wegen der mangelhaften Qualität
der Platten keine verwertbaren Resultate.
Die Bibliothek der Sternwarte war in einem Zimmer der Hauptanlage
untergebracht.
Die Regale sind heute noch vorhanden und dienen der Aufbewahrung
älterer Publikationsserien und Zeitschriften.
![[Blick von Südwesten auf die Sternwarte]](17_STW1900A_.jpg)
![[Blick von Südwesten auf die Sternwarte]](18_STW1900B_.jpg)
![[Blick von Südwesten auf die Sternwarte]](19_STW1900C_.jpg)
Blick von Südwesten auf die Gesamtanlage der Sternwarte zur warmen,
kühleren und kalten Jahreszeit.
Blick vom Dach des Refraktorgebäudes auf die nordwestlich davon
gelegene Sternwartanlage und den 1882 errichteten Verbindungsgang
zwischen diesen beiden Teilen des Observatoriums.
Blick von Norden in den Innenhof der Sternwartanlage.
Es gab sogar Schaukeln für die Kinder der Mitarbeiter.
Der Blick aus Nordosten zeigt in der Mitte des Bildes das Büro der
Erdmessungskommission , das dort von 1896 bis 1953 angesiedelt war.
Rechts erkennt man die erdmagnetischen Einrichtungen.
Der kurz nach der Jahrhundertwende 1900 entstandene Erweiterungsbau
auf dem Westflügel der Sternwartanlage diente als Wohnung für den
Observator und seine Familie.
Der Wachhund der Sternwarte sammelt Kraft für seine Aufgabe,
die Sicherheit des Sternwartgeländes zu gewährleisten.
Sein Name ist nicht überliefert.
Zu den Aufgaben einer Sternwarte jener Zeit gehörte es auch, die für
die astronomische Tätigkeit erforderliche exakte Zeit zu bestimmen.
In München kam es in diesem Zusammenhang zu einer Symbiose zwischen
der Bogenhausener Sternwarte und dem genialen Uhrenfabrikanten Sigmund
Riefler (1847–1912).
Riefler stammte aus Maria Rain im bayerischen Allgäu und hatte ab
1865 an der Technischen Hochschule München Mathematik, Geodäsie und
Maschinenbau studiert sowie an der Universität Physik und Astronomie
gehört.
In diesem Zusammenhang war er mit der Sternwarte Bogenhausen in
Berührung gekommen, an der er unter Lamont praktische astronomische
Übungen durchführte.
Nach Abschluss seiner Studien ging Riefler zunächst für sechs Jahre
zur Preußischen Landesvermessung nach Schleswig.
Als sein Vater, der in Maria Rain eine Pendeluhrfabrikation betrieb,
1876 starb, kehrte er in seine Heimat zurück, um mit seinen beiden
Brüdern die väterliche Firma weiterzuführen.
Dabei verlegte er sich hauptsächlich auf Neuentwicklungen, während
seine Brüder auf technischem und kaufmännischem Gebiet arbeiteten.
Im Jahre 1878 ließ sich Riefler dann in München nieder, um vor allem
mit der Sternwarte in Bogenhausen in stetem Kontakt zu sein.
Schon ein Jahr später richtete er am Karlsplatz 29 (später in
Lenbachplatz 1 geändert) ein Laboratorium und Verkaufsbüro ein,
das bis 1929 existierte.
Im gleichen Jahr wurde der Hauptsitz der Firma von Maria Rain nach
Nesselwang verlegt.
Am 27. Juli 1891 schenkte er der Sternwarte eine astronomische
Pendeluhr, die im Uhrenverzeichnis der Firma als Nr. 1 geführt wird.
Die Herstellung dieser Uhr bildete den Auftakt zu einer
neuen Fabrikation und den Beginn des Siegeszugs Rieflerscher
Präzisionspendeluhren rund um die Welt.
Sie wurden an mehr als 150 Sternwarten und wissenschaftliche
Institutionen von Südafrika bis Skandinavien, von Südamerika bis
Kanada und von Japan, China und Russland bis Irland geliefert und
sind bis heute die genauesten mechanischen Pendeluhren, die man kennt
(Ganggenauigkeit bis zu ±0.003 Sekunden pro Tag).
Erst 1965, nach dem Bau von 635 Exemplaren, wurde die Produktion
eingestellt.
Denn auch Rieflers revolutionierende temperaturkompensierten
Pendelkonstruktionen und seine Erfindungen im Zusammenhang mit der
Hemmung konnten mit den ab den 1950er Jahren verfügbaren Atomuhren
mit ihrer um Zehnerpotenzen höheren Genauigkeit nicht mehr mithalten.
![[Rieflers Uhrenfabrikation]](25_Nesselw1_.jpg) ![[Rieflers Uhrenfabrikation]](26_Nesselw2_.jpg)
Sigmund Riefler konzipierte seine Präzisionspendeluhren in München
und baute sie in Nesselwang, einem kleinen Ort im bayerischen Teil
des Allgäus.
Auszug aus dem Uhrenverzeichnis der Fa. Riefler, der sich auf die an
die Bogenhausener Sternwarte gelieferten Präzisionspendeluhren bezieht.
![[Nahaufnahme des Zifferblatts]](30_UhrRief01B_.jpg) ![[Rieflersche Präzisionspendeluhr]](29_UhrRief01A_.jpg) ![[Rieflersche Präzisionspendeluhr]](31_UhrRief33_.jpg) ![[Rieflersche Präzisionspendeluhr]](32_UhrRief38A_.jpg)
Die Rieflerschen Präzisionspendeluhren Nr. 1 (links, mit Nahaufnahme
des Zifferblatts), Nr. 33 (Mitte) und Nr. 38 (rechts, mit Nahaufnahme
des Zifferblatts).
Die Nr. 38 war jahrzehntelang die Zeitnormale für Bayern.
Sie befindet sich zusammen mit Nr. 1 seit 1994 im Deutschen Museum
in München.
Die Tankuhr Nr. 33 war auf der Weltausstellung in Paris 1900 mit dem
Grand prix ausgezeichnet worden, kam 1910 an die Sternwarte und
wurde ihr 1912 von Riefler geschenkt.
Sie ist heute noch vorhanden.
Die Regulierung des Ganges bei solchen Uhren geschah durch Auspumpen
mit einer Luftpumpe, d. h. durch Änderung des Luftdrucks im Zylinder.
In einem Nachruf auf Riefler, der auf dem
alten nördlichen Friedhof in Münchener bestattet wurde,
heißt es im nationalen Pathos jener Zeit:
Mit Sigmund Riefler ist einer der bedeutendsten Gelehrten der
Gegenwart dahingegangen, dessen geniale Schöpfungen in fünf Erdteilen
der Ruhmeskrone deutschen Geistes, deutscher Präzisionsarbeit und
deutscher Schaffenskraft neue Lorbeerreiser hinzugefügt haben.
Seine Werke, seine Ideen werden fortleben, solange der Mensch die
allmächtige Zeit messen wird und sich von ihr seine Tätigkeit regeln
läßt, d. h. bis der letzte der Sterne einst erglänzen und die Zeit
zu Ende gehen wird.
Auch als sich um 1930 das bayerische Verkehrsministerium entschloss,
ein eigenes Zeitsignal über den Rundfunk zu senden, blieb die
Riefler-Uhr Nr. 38 der Sternwarte die Zeitnormale.
Riefler-Uhr Nr. 500 im Münchener Rundfunksender wurde zu diesem Zweck
über eine Erdleitung synchronisiert und das Zeitzeichen (Genauigkeit:
ca. ±0.1 Sekunden pro Tag) um 14, 18 und 22 Uhr gesendet.
Von der akkuraten Zeitbestimmung profitierten neben den staatlichen
Einrichtungen in zunehmenden Maße auch Münchener Uhrmacher, denn
Seeliger schreibt 1891:
Seit einigen Jahren legen hiesige Uhrmacher der Sternwarte sowohl
Pendel- als auch Taschenuhren zur Prüfung vor.
Die Zahl dieser Uhren ist nicht so bedeutend, dass hierdurch eine
empfindliche Arbeitslast entstände, auf der anderen Seite aber
doch bedeutend genug, um sich einigen Nutzen von der ausgeführten
Vergleichung versprechen zu dürfen.
Die Sternwarte prüfte z. B. die Taschenuhren in diversen Lagen auf
ihre Ganggenauigkeit und stellte einen Gangschein aus.
Noch über einhundert Jahre später stellen solche Bescheinigungen
ein verkaufsförderndes und wertsteigerndes Argument für derartig
ausgezeichnete Uhren dar.
![[Gangschein]](34_Gangsch1_.jpg)
Links: Gangschein für eine goldene Taschenuhr des
kgl. bayer. Hoflieferanten Andreas Huber,
ausgestellt im Jahre 1890.
Rechts: Gangschein der Sternwarte aus einem Auktionskatalog
des Jahres 2003.
Bildquellen:
Nr. 1–24, 31: USM
Nr. 25–27: D. Riefler
Nr. 28: J. Ermert
Nr. 29, 30, 32, 33: Deutsches Museum
Nr. 34: J. M. Stadl
Nr. 35: K. Langer
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