Geschichte der Sternwarte
Lamont – Würdigung
Lamont war ein Pionier bei der Erforschung des Erdmagnetfeldes und
machte mit seinen Aktivitäten auf diesem Gebiet die Sternwarte in
Bogenhausen weltberühmt.
Darüberhinaus leistete er anerkannte Beiträge in der Astronomie,
der Meteorologie, der Geodäsie und im Instrumentenbau.
Wegen Arbeitsüberlastung, Fehleinschätzungen und teilweise auch
eigensinnigem Verhalten verpasste er jedoch leider die Chance, auch
auf astronomischem Gebiet Hervorragendes zu vollbringen.
Sternspektroskopie
An der Sternspektroskopie hatte Lamont rasch das Interesse verloren.
Er hätte hier jedoch, ausgestattet mit dem besten Teleskop der Welt,
einen frühzeitigen, bedeutsamen Beitrag leisten können, wenn er die
Untersuchung der Sternspektren auf eine systematische Basis gestellt
hätte.
Lamont hat aber, ebenso wie Soldner, das Potenzial diese neuen
Untersuchungsmethode nicht erkannt und auch nicht die immense
physikalische Information erahnt, die in den dunklen Linien verborgen
sein könnte.
Erst 1856 stellte der schottische Physiker William Swan (1818–1894)
wieder Versuche an, die Positionen der dunklen Linien in Sternspektren
zu bestimmen.
Zwei Jahre später spektroskopierte der Optiker Ignazio Porro
(1801–1875) als erster einen Kometen und verglich das Spektrum mit
dem des Roten Riesen Arcturus.
Es war dann der italienische Astronom Giovanni Battista Donati
(1826–1873), der ab 1860 den Stein ins Rollen brachte und
zum Vorreiter einer zunehmenden Anzahl von Astronomen wurde, die
systematisch Zeichnungen und bald auch Photographien von Sternspektren
diskutierten und die Forschungsergebnisse publizierten.
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Steinheil 1864 ein
Spektroskop baute, das der britische Generalkonsul in Montevideo
und Amateurastronom William Garrow Lettsom (1805–1885) zur
Sternspektroskopie verwendete.
Damit wurde dieser zum Begründer des neuen Forschungszweigs auf der
südlichen Hemisphäre – mit einem Instrument aus München.
Meridiankreismessungen
Wegen des zähen Fortgangs der Meridiankreisarbeiten wurde Lamont auch
hier von einem anderen übertroffen:
Es war Friedrich Wilhelm August Argelander (1799–1875), Direktor
der Sternwarte Bonn, der 1863 nach nur 11-jähriger Arbeit seinen
ersten Katalog der berühmt gewordenen Bonner Durchmusterung
publizierte.
Dieser enthielt die Positionen von ca. 325 000 Sternen,
war von ähnlicher Genauigkeit und ging bis zur gleichen Grenzgröße wie
die Bogenhausener Messungen, überdeckte aber den gesamten nördlichen
Himmel (−2° bis +90°).
Im Jahre 1886 erschien dann die Erweiterung dieses Katalogs mit
ca. 134 000 südlichen Sternen (−22° bis
−2°).
Während die Bonner Durchmusterung heute noch benutzt wird,
sind die beiden Münchener Sternverzeichnisse längst in
Vergessenheit geraten.
Lamont hatte erwartet, als Nebenprodukt bei der Reduktion der
Meridiankreismessungen auch etwa noch vorhandene Planeten,
veränderliche Sterne und Sterne mit großer Eigenbewegung zu finden.
Es wurden dabei aber keine großartigen Entdeckungen gemacht und auch
die Chance vertan, den Planeten Neptun aufzuspüren.
Dieser war nämlich schon vor seiner Detektion durch Johann Gottfried
Galle (1812–1910) am 23. September 1846 an der Sternwarte Berlin
zweimal (25. Oktober 1845 und 7. September 1846) als Stern an
unterschiedlichen Orten in den Münchner Zonen aufgezeichnet worden,
ohne dass dies besonders aufgefallen wäre.
Lamont war die Sache offensichtlich sehr peinlich und er beklagte
sich 1852 in einem Bericht an die Akademie, dass Neptun
nur aus Mangel einer zweckmäßigen Vergleichung (wozu jedoch
die erforderlichen Mittel unserer Anstalt fehlten) der Entdeckung
entgangen sei.
Bei einer frühzeitigen und sorgfältigen Sichtung der Beobachtungsdaten
wäre der Ruhm dieser Entdeckung nicht an das von ihm wenig geliebte
Preußen gegangen.
Protuberanzen
Die überraschende Entdeckung der Protuberanzen während der
Sonnenfinsternis von 1842 hatte Lamont ein neues Forschungsfeld
eröffnet.
Sofort entbrannte eine Kontroverse bzgl. ihrer Natur:
Man hielt sie für angestrahlte Berge auf der Sonne oder dem Mond,
für Flammen auf der Sonne oder schlichtweg für optische Täuschungen.
Schon nach der Beobachtung der Finsternis vom 28. Juli 1851 kam man
jedoch allgemein zu der Überzeugung, dass die Protuberanzen leuchtende
Gasmassen auf der Sonne sein müssen.
Nichtsdestoweniger hatte Lamont aber zur Erklärung der
rosenfarbigen Vorsprünge , wie er die Protuberanzen nannte,
folgende Hypothese entwickelt:
Während der Schattenkegel des Mondes über die Erdatmosphäre streicht,
werden sich dort wegen der absinkenden Temperatur in den Dünsten
der Atmosphäre kleine, ganz dünne Wolken bilden.
Diese kann man im Schattenkegel selbst nicht sehen und auch nicht
vor der totalen Bedeckung der Sonne.
Ist diese aber dann total bedeckt, wird das Sonnenlicht am Mondrand
gebeugt, wobei vor allem violettes Licht in den Schattenkegel gelangt
und die Wolken sichtbar macht.
Da diese Schlüsse auf Berichten anderer Beobachter beruhten und er
selbst neben den in München partiellen Finsternissen der Jahre 1833
und 1842 noch nie eine totale Sonnenfinsternis verfolgen konnte,
setzte er alles daran, seine Hypothese nunmehr bei der totalen
Finsternis vom 18. Juli 1860 in Spanien zu überprüfen.
Die Akademie gewährte ihm die beantragten Reisemittel zum
Totalitätsstreifen bei Castellón, ca. 60 km nördlich von
Valencia.
Dort grassierte damals die Cholera und Lamont berichtet:
Am 10. Juli begab ich mich nach Castellon und fieng sogleich
an, obwohl durch die Affectionen, welche dem Ausbruche der Cholera
gewöhnlich vorausgehen, in hohem Grade belästigt, das Nöthige zur
Beobachtung der Finsternis vorzubereiten.
Es gelang ihm dann, während der 2.5-minütigen Totalitätsdauer bei
günstigem Wetter vier Protuberanzen aufzuzeichnen, wobei er bei
einer sogar starke morphologische Veränderungen während der kurzen
Beobachtungszeit feststellen konnte.
Zurück in Bogenhausen klärte er noch einige Detailfragen mit einem
Versuchsaufbau zur Simulation von Sonnenfinsternissen.
In seinem abschließenden Bericht, der 1863 erschien, verarbeitete
er auch Ergebnisse anderer Beobachter und kam zu dem Schluss, dass
seine Hypothese im Wesentlichen als bestätigt anzusehen sei, obwohl
zu diesem Zeitpunkt für die Mehrheit der Astronomen überhaupt kein
Zweifel mehr bestand, dass die Protuberanzen eine Erscheinung auf
der Sonnenoberfläche sind.
Lamont stand mit seiner abweichenden Meinung allerdings nicht ganz
alleine da, denn u. a. der Direktor der Sternwarte Hamburg, George
Rümker (1832–1900), war sogar überzeugt, dass diese Phänomene
unmöglich eine materielle Existenz haben können.
Alles scheint mir eher darauf hinzudeuten, dass die sämtlichen
Erscheinungen, welche während der totalen Finsternis den Mondrand
umgeben, rein optischen Ursprungs sind.
Solar-terrestrische Beziehung
Lamont hatte 1851 im zweiten Band der Reihe Neue Encyklopädie
der Wissenschaften und Künste für die deutsche Nation unter dem
Titel Astronomie und Erdmagnetismus ein Kompendium verfasst,
in dem er Geschichte und aktuellen Stand dieser Wissenschaften darlegt.
Darin gibt er auch einen Überblick über die Häufigkeit des
Erscheinens der Sonnenflecken von 1611 bis 1720 und publiziert
Schwabes Werte der Jahre 1826 bis 1847, die ein allmäliges Zu-
und Abnehmen der Häufigkeit bestätigen .
Auf seinem Spezialgebiet schloss er aus seinen eigenen und früheren
magnetischen Beobachtungen der Jahre 1783–1788 und 1813–1820,
daß man ein stetiges Zu- und Abnehemen der Deklinationsbewegung
in einem regelmäßigen Cyclus von
10 1/3 Jahren
annehmen muß.
Auf die Idee, dass zwischen den Magnetfeldänderungen und der Anzahl
der Sonnenflecken ein Zusammenhang bestehen könnte, kam Lamont
leider nicht.
Es muss ihn daher stark getroffen haben, dass nicht er den Geistesblitz
hatte sondern nur ein Jahr später der Schweizer Astronom Wolf den
Zusammenhang erkannte.
Der daraus entstandene Streit um die richige Periode lässt
sich daher mit den persönlichen Animositäten erklären.
Da er sich von der Exaktheit seiner magnetischen Periode
nicht abbringen liess, sollte durch eine Systematisierung der
Sonnenfleckenbeobachtungen erst einmal ein vernünftiges Basismaterial
gesammelt werden.
Hierzu liess er seinen Doktoranden und späteren Mitarbeiter
Philipp Carl fünf Jahre lang täglich mittels eines kleinen
7-cm-Fraunhofer-Refraktors die Sonnenflecken aufzeichnen und zwar
nach Größe und Änderung sowie Entstehung und Verschwinden auf der
der Erde zu- und abgewandten Seite.
Carl entwickelte hierfür ein eigenes Klassifikationsschema, tauschte
sich auch mit Schwabe aus und publizierte seine Beobachtungen
regelmäßig in den Astronomischen Nachrichten.
Als Abfallprodukt dieser Arbeit erfahren wir auch, dass in den
fraglichen fünf Jahren die Sonne in Bogenhausen im Mittel an 241.6
Tagen solange frei von Wolken war, dass eine Beobachtung derselben
angestellt werden konnte .
Warum die Beobachtungen mit dem Ende des Jahres 1863 dann eingestellt
wurden und warum Lamont, der schon 1852 versucht hatte Daguerreotype
von den Sonnenflecken zu nehmen , die jedoch keine günstigen
Erfolge geliefert haben , die Carlschen Ergebnisse nicht in seinem
Streit mit Wolf verwertete, ist nicht bekannt.
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